Nürnberg/Frankfurt am Main/Bonn – „Unsterblichkeit für alle“ titelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung und schreibt über den Auftritt des US-Visionärs und Informatikers Ray Kurzweil. Der amerikanische Erfinder verkündete in New York erneut seine Botschaft: das menschliche Hirn und die Welt der Computer werden fusionieren. In 20 Jahren sind Technologie und Mensch nicht mehr unterscheidbar. Der nächste Evolutionsschritt ist zwangsläufig die Unsterblichkeit, prognostiziert Kurzweil. Für den Weg dorthin muss man nicht in die USA reisen – es reicht ein Blick nach Nürnberg ins Medizintechnikcluster „Medical Valley“.Â
Ray Kurzweil ist kein Verrückter. Das belegen nicht nur seine zahlreichen Entwicklungen, die von Computerprogrammen über Lesegeräte bis zu elektronischen Musikinstrumenten reichen. Bei seinem New Yorker Auftritt hatte Kurzweil seine Freunde mitgebracht – unter ihnen Steve Wozniak, Mitbegründer von Apple, und den populären Astrophysiker Michio Kaku, der schon zu Jugendzeiten auf Zeitreise gehen wollte.
Ausgangspunkt für Kurzweils Theorie ist die Annahme, dass sich Technik und Wissenschaft immer rascher entwickeln – ähnlich wie die Rechnerleistungen ständig schneller wachsen. Die Evolution nimmt immer rasanter an Fahrt auf. Kein Wunder, dass Kurzweil auf Denkschranken liebend gerne verzichtet: Er spekuliert zum Beispiel über Kontaktlinsen, die mit dem Internet verbunden sind, oder über künstliche Gliedmaßen, die unseren Armen und Beinen weit überlegen sind. „Bis vor kurzem hatten wir keine Möglichkeit, die scheinbare Zwangsläufigkeit von körperlichem Verfall und Tod aufzuheben. Mittlerweile haben wir allerdings Alternativen. Mit dem heutigen Wissen können selbst Angehörige meiner Generation in 15 Jahren noch bei guter Verfassung sein. Dann wird es möglich sein, unser biologisches Programm durch Biotechnologie zu modifizieren, was uns lange genug leben lassen wird, bis uns die Nanotechnologie befähigt ewig zu leben“, sagt Kurzweil in einem FAZ-Interview.Â
Ganz so weit sind die Forscher in Nürnberg noch nicht. „Aber es es ist kleiner Schritt in diese Richtung“, sagt Bernd Stahl von Nash Technologies gegenüber pressetext. Die Netzwerkspezialisten sind Mitglied im „Medical Valley“, dem nationalen Spitzencluster für Medizintechnik, und sind am Projekt „Smart Sensors“ beteiligt. Dahinter steckt ein intelligentes Assistenzsystem, das besonders älteren Menschen im Lebensalltag unterstützen wird. Eine intelligente Armbanduhr überwacht zum Beispiel den Blutgaswert, die Körpertemperatur und Bewegungen. Außerdem ist ein automatisches Notfall-System integriert. „Die Technik steckt zwar noch nicht wie bei Kurzweils Vision im Menschen, aber sie liegt am Menschen an. Und sie macht das Leben angenehmer und sicherer“, sagt Stahl. Das System läuft mobilfunkgestützt, also über UMTS und LTE und ist damit ans Internet gekoppelt. Nash Technologies entwickelt die Smartphone-Applikation, die später auf dem Gerät in der Größe einer Armbanduhr laufen soll. Damit die intelligenten Assistenzdienste überhaupt funktionieren, müssen sie via Internet mit Application Servern verbunden sein, rund um die Uhr und mit kurzen Reaktionszeiten. „Carrier Grade Networking ist dafür das Zauberwort“, erläutert Stahl.Â
Kurzweil selbst steht solchen Entwicklungen außerordentlich optimistisch gegenüber. Skepsis oder gar Angst gegenüber einer Technologie, die im Menschen fest verankert ist, kennt er nicht. Eine Haltung, die in Deutschland – zumindest im Augenblick – wahrscheinlich keine Mehrheit findet. Allein die Angst vor dem Internet ist Kult, wie Sascha Lobo in seiner Spiegel Online-Kolumne kritisiert. „Für weite Teile von Politik, Wirtschaft und Kultur ist das Netz noch immer eine Blackbox “, schreibt Lobo. „Jede neue Technologie, die an uns heranrückt, ist eine Herausforderung“, sagt Stahl. „Und je älter man ist, desto mehr Angst hat man. Auf der anderen Seite sollten wir sehen, dass das Internet in Verbindung mit neuen Geräten für eine deutlich höhere Lebensqualität sorgt. Was ist daran schlimm?“
Es sei sehr wahrscheinlich, dass Nano-Bots durch unsere Körper wandern und gezielt schwere Erkrankungen wie Krebs bekämpfen. Man erwarte, dass es in zwanzig, dreißig Jahren viele Menschen gebe, die deutlich über 100 Jahre alt werden. An die Unsterblichkeit à la Kurzweil glaubt Stahl allerdings nicht: „Das ewige Leben ist eine andere Veranstaltung. Es in eine techno-biologische Hardware zu gießen, ist schon wegen der Endlichkeit des Universums unmöglich.“
Von Benjamin O-Daniel und Gunnar Sohn
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